Nun also Türkis-Grün. Kunst und Kultur wandern in ein Staatssekretariat, geführt von Grünen-Urgestein Ulrike Lunacek als Staatssekretärin im Vizekanzleramt. Inhaltlich bringt das Kulturprogramm einige interessante Ansätze, die die Mühen der Ebene nicht scheuen, ebenso altbekannte wie drängende Herausforderungen anzugehen. FAIR PAY und soziale Absicherung von in Kunst und Kultur Tätigen verbessern zu wollen sind ambitionierte Ansagen. Hier unser Kommentar dazu, was Kunst und Kultur unter türkis-grüner Bundesregierung erwartet.
Sieben von 328 Seiten widmet das türkis-grüne Regierungsprogramm dem Kunst- und Kulturkapitel. Und bereits die Einleitung stellt klar, dass hier durchwegs neue Akzentuierungen gesetzt werden, etwa durch die Betonung des Beitrags künstlerischer Positionen zu gesellschaftlichen Herausforderungen (Stichwort: Klimawandel, Integration), der Thematisierung der sozialen Lage von in Kunst und Kultur Tätigen sowie der Schwerpunktsetzung auf kritische Gedenk- und Erinnerungskultur.
Keine Scheu vor den Mühen der Ebene – FAIR PAY, soziale Absicherung & Transparenz
Programmatisch setzt das Regierungsprogramm weniger auf herausragende Leuchtturmprojekte, denn auf das Aufgreifen ebenso altbekannter wie dringend notwendiger Reformen des Status Quo. Zentral für den zeitgenössischen Kulturbereich ist, dass erstmals unsere Forderung nach FAIR PAY für Kulturarbeit Eingang in ein Regierungsprogramm gefunden hat – ein Meilenstein. Es soll eine gemeinsame Strategie von Bund, Ländern und Gemeinden zur Umsetzung von FAIR PAY in Kunst und Kultur entwickelt werden. Ins Spiel gebracht werden zusätzlich „mögliche“ jährliche Valorisierungen von Förderungen bei „mehrjährigen Verträgen“, u.a. um steigende Personalkosten zu decken.
In Punkto „soziale Lage“ kündigt Türkis-Grün die „Weiterentwicklung der sozialen Absicherung der in Kultur und Kultur Tätigen im Bereich der Pensionsansprüche (Maßnahmen gegen Altersarmt) und der Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenversicherung)“ an; der Künstersozialversicherungsfonds soll finanziell abgesichert und weiterentwickelt werden („Bezieher*innenkreis weiterentwickeln“) – eine Chance, dass künftig auch Kulturarbeiter*innen, die in ähnlich prekären Verhältnissen wie Künstler*innen arbeiten, Zugang zu Zuschüssen erhalten. Auch ein Urhebervertragsrecht soll eingeführt werden, um unfaire Knebelverträge zu verhindern und die Verhandlungsposition von Künstler*innen zu stärken.
Versprochen wird zudem mehr Transparenz bei Kulturförderentscheidungen und verbesserte Förderverfahren: konkret sollen die Förderabwicklung digitalisiert und vereinfacht werden („One-Stop-Shop-Prinzip“), „Entscheidungen und Förderabwicklung transparent“ werden und nicht mehr an Entscheidungen anderer Förderstellen gekoppelt sein („Wenn Land fördert, dann…“); Von Interesse in diesem Zusammenhang ist für den Kultursektor auch die Abschaffung des Amtsgeheimnisses und das Recht auf Informationszugang, welches einen grundlegenden Kulturwandel in den Verwaltungsbehörden nach sich ziehen wird. Beiräte und Gremien sollen zudem ausschließlich nach sachlichen und inhaltlichen Gesichtspunkten auf der Grundlage von transparenten Auswahlverfahren besetzt werden – auch dies eine langjährige Forderung des Sektors, die sich von selbst verstehen sollte.
Neue Förderbedingungen und -schwerpunkte: „Gleichstellung und Frauenförderung“ sind ein expliziter Schwerpunkt, „gleiche Bezahlung von Frauen und Männern für gleiche Arbeit“ wird zur Förderbedingung. Ziel ist die schrittweise Reduzierung des Gender-Pay-Gaps in Kunst- und Kulturorganisationen. Als neue Förderschwerpunkte werden drei Bereiche definiert: die Stärkung von inter-/transdisziplinären Vorhaben, von Kunst- und Kulturprojekten der anerkannten Volksgruppen sowie von Kunst- und Kulturprojekten im Bereich Integration.
Zusätzlich will Türkis-Grün eine „Kunst- und Kulturstrategie“ auf den Weg zu bringen – ein Vorhaben, das bereits unter Türkis-Blau Eingang ins Regierungsprogramm fand, in der Praxis jedoch ebenso im Stadium der Ankündigung verblieb, wie der Dialog mit den Interessenvertretungen der Kunst- und Kulturschaffenden. Dazu hält das jetzige Programm fest, dass die Strategie „in einem strukturierten Verfahren“ „unter Einbeziehung aller Gebietskörperschaften und mit Partizipation der Kulturinitiativen, Künstlerinnen bzw. Künstler sowie Kulturarbeiterinnen und Kulturarbeiter“ entwickelt werden soll.
Spannendes für Kulturinitiativen findet sich auch in anderen Kapiteln des Regierungsprogramms: Für die brennende Problematik fehlender Räume für Kulturarbeit könnte das angekündigte Leerstandsmanagement Besserung bringen. Ferner soll die Rechtssicherheit für gemeinnützige Vereine gestärkt werden (Überprüfung der Abgrenzung ehrenamtlicher Tätigkeit von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung) und eine mögliche steuerliche Entlastung für den Kunst- und Kulturbereich überprüft werden.
Eine weitere Überprüfung soll es hinsichtlich einer Ausweitung der Spendenabsetzbarkeit auf weitere gemeinnützige Organisationen geben – eine Chance, endlich die Diskriminierung kleiner Kulturvereine bei der Spendenabsetzbarkeit zu beenden.
Alleine diese Auswahl einzelner Punkte zeigt, dass die Mühen der Ebene nicht gescheut werden, um strukturelle Verbesserungen auch für die freie Szene zu erzielen. Die konkrete Ausgestaltung der Vorhaben bleibt in vielen Punkten – erwartungsgemäß – vage, Überprüfungen sind bekanntlich ebenso ergebnisoffen wie Strategien, die erst entwickelt werden müssen. (Unsere Detailanalyse weiterer Aspekte des Regierungsprogramm findet Ihr hier.)
Ab jetzt also: Volle Konzentration auf Kunst und Kultur, jedoch verräumt in ein Staatsekretariat
Dass es kein eigenes Kulturministerium geben wird, das sämtliche kulturrelevanten Agenden bündelt (inklusive z. B. Auslandskulturpolitik und Urheber*innenrecht), war absehbar – hatten sich doch auch die Grünen im Vorfeld stets skeptisch dazu geäußert mit dem Argument, die Einbettung in ein größeres Ressort gebe den Kunst- und Kulturagenden in Verhandlungen mehr Gewicht. Dass die Kunst- und Kulturagenden nun strukturell in ein Staatssekretariat im Vizekanzleramt verräumt werden, ist enttäuschend. Staatssekretär*innen kommt im Ministerrat nur beratende Rolle zu. Das zeigt dann doch wieder, welcher Stellenwert Kulturpolitik im gesamtpolitischen Gefüge tatsächlich eingeräumt wird.
Apropos Personalentscheidung: Mit der durchwegs überraschenden Ernennung von Ulrike Lunacek (Die Grünen) als Kunst- und Kulturstaatssekretärin übernimmt eine der erfahrensten Grün-Politikerinnen die Agenden. Im Kulturbereich ist sie jedoch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Die Chance, diesen Posten an jemanden mit ausgewiesener Erfahrung in Kulturbereich zu vergeben, wurde damit vertan. Eva Blimlinger, die als ehemalige Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien lange als Spitzenkandidatin für den Kulturposten gehandelt wurde und das Regierungsübereinkommen mit verhandelt hat, wird den Vorsitz des Kunst- und Kulturausschusses im Nationalrat übernehmen. Von einer engen Achse der Kooperation zwischen Staatssekretariat und Nationalrat darf ausgegangen werden. Entscheidend wird aber, dass der angekündigte Dialog mit allen Beteiligten – so wie im Regierungsprogramm angekündigt – gelingt, um Know-How und Erfahrungen aus der Praxis frühzeitig einzubinden, damit die angekündigten Vorhaben im Wohle der freien Szene umgesetzt werden.
Knackpunkt zukünftiges Kulturbudget
Offener Knackpunkt bleibt das Kulturbudget, um die im Regierungsprogramm angekündigten Vorhaben effektiv umsetzten zu können. So werden etwa Inflationsabgeltung und jährliche Valorisierungen als „möglich“ sowohl im Bereich der freien Szene als auch für Bundeseinrichtungen – alle drei Jahre im Rahmen von Leistungsvereinbarungen – in Aussicht gestellt. Konkrete Zusagen, dass Budget für Kunst und Kultur erhöhen zu wollen, gibt es bislang nicht. Hier gilt es in den kommenden Budgetverhandlungen – mit Ex-Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) als nunmehriger Finanzminister – den ambitionierten Ansagen auch Fakten folgen zu lassen.
In Summe freuen wir uns über einen weiteren Schritt, dem Ziel fairer Bezahlung von den Kulturschaffenden näher zu kommen und erwarten endlich eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Interessenvertretungen bei der Umsetzung des Regierungsprogramms.
Analysen zu weiteren Teilen des Programms folgen demnächst.
Das gesamte Regierungsprogramm 2020-2024 findet Ihr hier zum Download.